entstanden am Rande der Fachveranstaltung „Können Menschen mit Penis Frauen sein? Zum Zusammenhang von Körper und Geschlecht“ am 8.9.2021 von EFiD
TW: Selbsttötung, Gewalt, Transphobie
Sie hat es bestimmt schon tausendmal gehört. Im Ersten Testament steht es doch: Gott schuf sie als Mann und Frau. Wie sie für gewöhnlich darauf reagiert? Anscheinend wie auf alles, eher geduldig. Ehrlich gesagt, ich frage das nur der Vollständigkeit halber. Sie tut uns beiden den Gefallen, diesen ermüdenden Gesprächsfaden zu beenden. Indem sie fragt, ob das denn da so steht? Schon das frühe rabbinische Judentum kennt den Androgynos, weil es eben nicht so eindeutig ist, weil wir eher von Wesensbeschreibungen als geschlechtlicher Zuordnung ausgehen sollten. Und trotzdem.
Es gibt sie nun mal, die Stimmen, die Angst haben und Angst machen. Angst davor, dass nun Männer in Frauenkleidern unsere Frauenhäuser und Beratungsstellen überrennen. Warum ist Betroffenenhilfe überhaupt diskutabel?
Was passiert denn, wenn wir die Perspektive der Opfer, der Machtlosen einnehmen, fragt sie mich. Ich gehe vielleicht als Mädchen in die Schule und alle akzeptieren mich und dann kriege ich das erste Zeugnis, wo immer noch der männliche Name drauf steht. Dann mache ich meinen Schulabschluss mit männlichem Namen, dann bewerbe ich mich mit männlichem Namen, aber ich denke, lebe und liebe so nicht. Ich bin doch nicht männlich. Das ist furchtbar, dieser Spießrutenlauf, der noch weitergeht. Für eine Namensänderung muss ich zwei Gutachtende besuchen, die intimste Fragen stellen über Selbstbefriedigung und sexuelle Vorlieben, die daraus zwanzig Seiten Attest machen, mit dem Ergebnis, dass ich keine Psychose oder Neurose habe, sondern einfach transident bin. Aus der Perspektive der Betroffenen stellt sich die Frage: Wer ist bereit, mir zu helfen? und nicht: Wem kann ich einen Beratungsplatz wegnehmen? Die Realität ist, dass trans* Menschen viel häufiger als cisgeschlechtliche Personen Suizidversuche begehen und dass trans* Menschen häufiger als anderen Mitgliedern der LGBTQI*-Community Gewalt angetan wird, amplifiziert noch durch andere Identitätsmarker wie race oder Armut.
Eine diffuse Angstdiskussion, durch alle politischen Einstellungen. Viele Jahre war ein Artikel aus der Neuen Revue für sie der Beweis für das nicht-Alleinsein und wahrhaftiger Schatz: Amerikanischer Arzt ist jetzt Ärztin. Sicher sein, geborgen sein, nicht allein sein – Opferschutzbeauftragte zu sein heißt nicht, alle Opfer dieser Welt zu betreuen, sondern ein aktuell aufgestelltes Netzwerk zu haben, in dem sie vermitteln kann. Beraten heißt in Netzen denken, sagt sie. Kann Kirche etwas beitragen? Ich meine, Kirche ist groß und sehr gut vernetzt. Vier Felder gibt es, wo alles möglich ist und zu wenig getan wird: Verkündigung, Seelsorge, Unterricht und besonders Management. Wo sind die Quoten, fragen wir uns. Quoten im Hinblick auf PoCs, Quoten im Hinblick auf geschlechtliche Identität. Das ist Managementverantwortung in den Landeskirchen. So verpasst Kirche nicht nur wichtige Themen, sie bildet all diese Identitäten nicht ab. Für und in Kirche ist vieles nur ein Verwaltungsakt, was für Menschen existentiell lebensverändernd ist.
Was die Kirche in zwanzig Jahren ist, frage ich sie. Da ist keine mehr, antwortet sie. Wenn sie an das Klima denkt, dann ist da eher die Frage, was ist von der Welt in zwanzig Jahren noch? Sie spricht über die Kirche in der Gegenwart. Ein Bereich, in dem Kirche massiv an Boden verliert, sind Rituale. Dabei können Rituale vulnerablen Menschen so viel geben. Manchmal kann das ganz einfach sein. Warum zum Beispiel nicht Übergänge offensiv zelebrieren? Mit Gottesdiensten haben wir ein ganz wunderbares Instrument, um mit einer transidenten Person ihre Transition zu feiern oder einen neuen Namen zu segnen. Diese Menschen werden sich für die Ewigkeit des eigenen Lebens erinnern.
2041 wird Kirche keine Rolle mehr spielen. Wir überlegen, ob es denn überhaupt schlimm wäre, wenn es den Verwaltungsapparat Kirche nicht mehr gäbe. Ob Kirche, ob Gottesgemeinschaft nicht auch immer genau da ist, wo Menschen sich auf die Seite der Entmenschlichten stellen. Einfach tun, sagt sie. Einfach so. Eine radikal inklusive Heimat für die, die wollen. Als sie mir beschreibt, was Heimat sein könnte, wenn es nicht Alte Weiße Männer sind, die in grauen Anzügen und schwarzen Talaren Flure verstopfen, sprechen wir auch von „Eure Heimat ist unser Alptraum“. Was wir nicht anerkennen, ändern wir nicht. Sie nickt, sagt aber, wir können jetzt etwas ändern. Uns bei lebensverändernden Phasen, bei Migration, wenn Jüdinnen* angegriffen werden, auf die Seite derer stellen, die entrechtet und entwürdigt werden. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dafür gilt es, einzutreten und uns neben diese Menschen zu setzen.
Im Nachhinein frage ich mich, ob sie hier das Sitzen in der Tischgemeinschaft Jesu meint. Oder ob sie sowas wie eine Sitzblockade meint. Mir gefallen beide Vorstellungen.
Elke Spörkel ist Pfarrerin der Ev. Kirche im Rhein- land. Sie ist dort, wie auch in der Beratungs- und Informationsstelle der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, in der Beratung transidenter Personen und ihrer Angehörigen tätig.
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