Man kann ins Staunen geraten angesichts eines spektakulären Sonnenuntergangs und ebenso angesichts eines Schmetterlings, der zart auf dem Buch landet, das man gerade im Freien liest. Oder auch nicht – denn Sonnenuntergänge hat man ja schon zahlreiche gesehen und Schmetterlinge sind leider selten geworden oder stören gar bei der Lektüre. Frau kann ins Staunen geraten über die Erzählung einer Freundin oder über das, was neuerdings auf der Rückseite des Mondes erforscht wird. Oder auch nicht – denn was die Freundin zu erzählen hat, ist selten etwas gänzlich Neues, und warum sollte es so spannend sein zu wissen, was „hinter dem Mond“ vor sich geht? Gilt nicht sogar als rückständig, wer hinter dem Mond lebt? Man kann ins Staunen geraten beim Betrachten eines Bildes eines holländischen Meisters aus dem 17. Jahrhundert und ebenso beim Betrachten der Zeichnung, die einem ein kleines Kind entgegenstreckt. Frau kann leicht staunen über einen grandiosen Wasserfall, den sie nicht nur sieht, sondern vor allem auch hört und sogar auf der Haut spürt, wenn sie sich zu sehr nähert. Man kann aber auch staunen über das leise Plätschern eines Baches, der über einen kreisrunden Stein mehr tröpfelt als fließt.
Freilich braucht es zur Bewältigung des Alltags verlässliche Routinen und gängige Abläufe. Es ist gut, auf viele Dinge klare Antworten zu haben. Aber solches Wissen und selbstverständliche Praktiken können auch einengen, und sie verhindern oft Entwicklungen oder Veränderungen. Was ist das denn? fragt das staunende Auge. Ach wirklich? fragt der staunende Mund. Wieso eigentlich? fragt das staunende Ohr. Das fühlt sich merkwürdig an! meint das sensible Herz. Und worum handelt es sich hierbei genau? fragt das neugierige Denken.
Bringen Sie die Teilnehmerinnen gleich bei der ersten Runde zum Staunen. Alle sind angekommen, haben – in einem Kreis – Platz genommen, Sie sagen ein paar Worte zur Begrüßung und laden zu einer Vorstellungsrunde ein. Je besser Sie sich schon kennen, desto witziger und desto erstaunlicher. Denn es verlangt von allen, dass sie sich mit Erstaunen wahrnehmen. So, als würden sie sich eben noch nicht kennen. Sie geben drei sehr einfache Fragen vor:
– Wie heißen Sie?
– Woher kommen Sie?
– Auf was sind Sie heute besonders gespannt?
Das Besondere ist jetzt, dass die ganze Gruppe auf die Antworten mit Staunen reagiert. Und zwar in der Reihenfolge der Antworten auf die drei Fragen mit:
– Oh!
– Aha!
– Ui!
Und schon sind Sie mitten im Thema! Scheuen Sie sich nicht, es macht wirklich Spaß, besonders wenn Sie die Runde mit einem Augenzwinkern anleiten. Wer nicht so sehr darauf eingehen kann, wird sich mit den Tönen sowieso zurückhalten, die anderen werden viel lachen – und die Angestaunten werden erleben, wie gut es sich anfühlt: angestaunt zu werden!
Der staunende Blick
Verteilen Sie weiße Blätter, an jede eines. Bitten Sie die Teilnehmerinnen, diese hinter dem Rücken festzuhalten und dann, ohne es zu sehen, ein kleines Loch hineinzureißen. Achten Sie darauf, dass dabei nicht gesprochen wird; dann entsteht ein schöner Moment, in dem nur das Reißen von Papier zu hören ist. Dann darf jede ihr Papier betrachten. Anschließend fordern Sie dazu auf, nur durch dieses kleine Loch im Papier schauend umherzugehen und alles zu betrachten: den Fußboden, Gegenstände im Raum, Fenster, die Decke, die anderen, Füße, Schmuck, die Augen ….
Unterhalten Sie sich anschließend darüber, was Sie entdeckt haben und wie es war, die Welt nur durch die kleine Öffnung zu betrachten.
Zur Entspannung ist es gut, danach mit weit geöffneten Augen kreuz und quer durch den Raum zu gehen und sich gegenseitig anzuschauen, dabei nicht stehen zu bleiben, die Arme weit zu machen. – Vielleicht mögen Sie dazu eine beschwingte Musik auflegen.
Staunen gehen
Bauen Sie eine etwas längere Pause von circa 30 Minuten ein und schicken Sie die Teilnehmerinnen auf einen Spaziergang. Sie sollen bitte alleine losziehen und nichts anderes tun, als umherzugehen und die Dinge, Pflanzen, Tiere, Bauwerke, Wege… so zu betrachten, als seien sie ihnen nicht vertraut. Wer nicht gut zu Fuß ist, kann sich ja auch auf eine Bank setzen oder einfach einen Stuhl vor die Tür stellen. In der Winterzeit geht das natürlich nicht so gut. Alternativ können Sie zu einem Spaziergang im Gemeindehaus oder in der Kirche einladen. Bitten Sie die Teilnehmerinnen, sich Zeit zu lassen, die Augen wandern zu lassen, auf den Atem zu achten, gut auszuatmen. Vorneweg könnten Sie mit allen ein paar Übungen machen, bei denen die Arme weit nach oben gestreckt werden. Als Bild schlage ich vor, die Arme reifen Kirschen an einem hohen Baum entgegenzustrecken.
Dann mögen alle etwas mitbringen von ihrem Spaziergang – etwas Erstaunliches, und sei es noch so klein oder einfach oder alltäglich.
Jede darf dann in der Runde natürlich ihr Staunen vorstellen, aber damit es nicht zu langatmig wird, schlage ich vor, dass jede darstellt, also spielt, wie sie es gefunden hat oder zu welcher Reaktion es sie lockt. Die Frage dazu: Mit welchem Sinn haben Sie am meisten gestaunt? So entstehen kleine Momente der Überraschung, nicht länger als eine Minute. Wer aus der Gruppe mag, kann darauf mit einem Wort, einem Ton, einem Satz reagieren – mehr nicht.
Staunen als Lebenshaltung
Ein Gespräch kann angeregt sein durch einzelne Passagen aus meinem Text, die für Sie das Thema besonders gut zum Ausdruck bringen. Oder durch weitere Fragen wie:
– Wenn Sie (Ihre) Kinder oder Enkel beobachten: Wie sehr staunen sie, wie oft und wie nehmen Sie das wahr?
– Erinnern Sie sich daran, wann Sie das letzte Mal über einen Bibeltext / im Gottesdienst gestaunt haben?
– Können Sie sich Ihren Glauben ohne Staunen vorstellen?
– Ist jeder Mensch, der staunend durchs Leben geht, zugleich ein humorvoller Mensch?
– Wann wird aus Staunen Entsetzen?
– Staunen Sie mehr, bevor Sie einer interessanten Sache auf den Grund gehen, oder dann, wenn Sie etwas Interessantes herausgefunden haben?
Sie können die Fragen auch auf Karten notieren und jeweils eine Dreier- oder Vierergruppe eine ziehen lassen. Das bietet wieder ein Überraschungsmoment und wird auch die anderen überraschen, wenn die Frage und die Überlegungen aus der Gruppe später preisgegeben werden.
Ach so!
Dr. Gisela Matthiae ist Theologin. Beim Schreiben dieses Beitrags staunte sie nicht schlecht über schneebedeckte Berge und kräftigen Wind, der den Schnee durch die Luft wirbelte. Sie staunte darüber, wie kalt es nachts sein kann und wie merkwürdig warm es dagegen zuhause in Deutschland ist. Teile des Beitrags finden sich in ihrem neu aufgelegten Buch „Wo der Glaube ist, da ist auch Lachen. Clownerie für Leib und Seele“, Freiburg (Herder Verlag) 2019.
www.clownin.de / www.kirchenclownerie.de / www.humorladen.wordpress.com.
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