Ausgabe 1 / 2018 Artikel von Frauke Josuweit

Protestantentorte

Mit einfachen Zutaten zubereitet

Von Frauke Josuweit

Protestantentorte, kennen Sie die? Ich bin damit groß geworden. In einer Region Norddeutschlands, die stark missionarisch geprägt war. Mit gerade mal neun Jahren verkündete ich vollmundig: „Haushalt braucht man nicht lernen, das kann man“, und demzufolge weiß ich, auch wenn ich es nie im eigentlichen Sinne gelernt habe, wie Protestantentorte herzustellen ist. Mit einfachen Zutaten nämlich.

Protestantentorte ist ein Synonym für Beerdigung. Trocken, vertrocknet, freudlos, Lustverbot. Aus dem Ort, an dem ich in die Schule ging, ging dem Protestantendiktat zum Trotz – das zumindest ist meine Interpretation – eine in Norddeutschland legendäre Torte hervor: Zevener Himmelstorte. Wunderbares Gebäck! Der Name ist auch hier Programm und hält, was er verspricht. Auch die Himmelstorte ist mit einfachen Zutaten bereitet. Es gibt viele Kopien des noch heute geheimen Rezeptes, das vermutlich im Zevener Christinenkloster erfunden wurde. Und es gibt das Original: schnörkellos, klassisch und sehr gehaltvoll. Mit unzähligen Kalorien dicker Sahneschichten zwischen zarten Böden mit Haselnuss, Zimt und Hagelzucker. Nichts weiter. Einfach gemacht aus wenigen vorhandenen Zutaten.

Und lecker ist sie! In meiner Kindheit in den 1970er Jahren wurde bei uns fast alles selbst gemacht. Selbstversorger weniger aus Überzeugung sondern vielmehr aus Notwendigkeit waren wir. Doch hin und wieder kam Luxus in Form der Himmelstorte auf den Tisch. Nicht, dass unser Alltagsessen nicht auch lecker gewesen wäre, denn meine Mutter wusste mit dem Wenigen, was wir hatten, wunderbar umzugehen. Aber der gekaufte Traum aus Sahne war noch mal etwas Besonderes. Niemand wäre bei uns auf die Idee gekommen, dass dieser Genuss Unrecht sei.

Mir sind noch die abschätzigen Bemerkungen meiner Mutter zur Protestantentorte in Erinnerung. Sie konnte es einfach nicht verstehen, dass man gute Zutaten nicht zu schätzen wusste und daraus kaum zu Genießendes produzierte. Kuchen, der zudem oft noch in den Kaffee getunkt wurde, damit er überhaupt runterzubringen
war. Mutterns Butterkuchen hingegen fand reißenden Absatz, wenngleich auch der, wie sein auf Beerdigungen und Hochzeiten favorisierter Namensvetter, lediglich aus Hefeteig mit viel Butter und reichlich Zucker bestand.

Es sind also nicht nur die Zutaten, die den Genuss machen. Es ist auch die Zubereitung. Oder die Haltung. Dürfen wir überhaupt etwas genießen? Steht uns das zu? Ist das rechtens? Geht es dabei nicht nur um Oberflächliches? Müssten wir nicht locker darauf verzichten können und uns den ernsteren Dingen widmen? Schon immer habe ich mich an Schönheit erfreut. Und unzählige Jahre meines Lebens damit verbracht, mich genau dafür gering zu achten. Ist doch nur Schein! Ist doch nichts wert! Jahrelange Selbstgeißelung, jahrelanges Büßertum. Ich vermute, da bin ich doch viel protestantischer als ich es mir an der Wiege habe singen lassen.

Es hat gedauert, bis ich meine Zutaten, die guten, schlichten, die manchmal auch überbordenden, reichlich fließenden Gaben schätzen gelernt habe. Und mich daran nun endlich ohne schlechtes Gewissen erfreue. Es muss keineswegs immer Himmelstorte sein. Auch Protestantentorte ist lecker. Vorausgesetzt, sie ist mit Liebe und Freude zubereitet.

Und so ist die neue ahzw keineswegs die reine Sahnetorte. Hin und wieder ist mal etwas Himmelsgaumenfreude auf den neu gestalteten Seiten zu finden. Im Wesentlichen aber bleibt es Protestantentorte im allerbesten Sinne.

Mit wunderbaren Zutaten liebevoll gebacken. Für Sie, für Ihre Arbeit mit (Frauen-) Gruppen, für Ihre persönliche Bereicherung. Und nicht zuletzt auch: Für Ihren ganz persönlichen Lesegenuss.

Frauke Josuweit ist im Evangelischen Zentrum 
Frauen und Männer zuständig für Presse- 
und Öffentlichkeitsarbeit. Sie studierte zunächst 
Chemie und im Anschluss Visuelle Kommunikation – 
für die neue leicht&SINN hat sie das Gestaltungs
konzept entwickelt.

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